
WETTBEWERBS-POLITIK
KG-TEILREVISION
1. Hintergrund und Zielsetzung der Revision
Mit der am 4. Juni 2025 vom Nationalrat verabschiedeten Teilrevision des Kartellgesetzes (KG) steht die Schweizer Wettbewerbsordnung vor ihrer umfassendsten Neuausrichtung seit 2003. Ziel ist eine Angleichung an internationale Standards (v. a. EU-Recht), eine Stärkung des zivilen Rechtsschutzes und eine gezielte Verbesserung des Verfahrensrechts. Der Ständerat hatte den Entwurf bereits im Sommer 2024 gutgeheissen, allerdings mit teils abweichender Linie zu zentralen Streitpunkten, die nun im Differenzbereinigungsverfahren geklärt werden müssen.
2. Die wichtigsten Neuerungen im Überblick
Fusionskontrolle nach SIEC-Test
Statt wie bisher auf die “Begründung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung” abzustellen, wird künftig nach dem international etablierten SIEC-Massstab geprüft, ob ein Zusammenschluss den wirksamen Wettbewerb erheblich beeinträchtigt.
Dies senkt die Eingriffsschwelle erheblich und führt voraussichtlich zu mehr Phase-II-Prüfungen.
Stärkung zivilrechtlicher Klagen
Neu können auch indirekt geschädigte Personen – etwa Konsument:innen oder die öffentliche Hand – Zivilklage wegen unzulässiger Wettbewerbsbeschränkungen erheben. Die erweiterte Aktivlegitimation wird ergänzt durch prozessuale Erleichterungen.
Unternehmen müssen sich auf zunehmende private enforcement-Verfahren einstellen.
Reform des Widerspruchsverfahrens
Neu gilt: Wird innert zwei Monaten keine Untersuchung eröffnet, entfällt das Risiko direkter Sanktionen für vorab gemeldetes Verhalten. Das erhöht die Rechtssicherheit für Unternehmen.
Compliance Defense
Bei der Bemessung von Bussen sollen unternehmensinterne Vorkehrungen zur Prävention von Kartellrechtsverstössen strafmindernd berücksichtigt werden.
3. Die grossen Streitpunkte: Differenzen zwischen National- und Ständerat
Artikel 5 KG: Auswirkungskontrolle bei harten Abreden
Nationalrat: Will auch bei sog. “harten Abreden” (z. B. Preis- oder Gebietsabsprachen) eine konkrete Wirkung auf den Wettbewerb prüfen (Art. 5 Abs. 1bis).
Ständerat: Will an der Gaba-Praxis festhalten, wonach bei harten Abreden die Erheblichkeit vermutet wird.
Kritik (u. a. in der NZZ): Der neue Prüfstandard des Nationalrats könnte “ausgerechnet” das Fundament effektiver Wettbewerbsaufsicht aushöhlen und das Vertrauen in den kartellrechtlichen Vollzug untergraben .
Artikel 7 KG: Missbrauchsaufsicht
Nationalrat: Verlangt bei Missbrauch durch marktmächtige Unternehmen eine Einzelfallprüfung der Auswirkungen (Art. 7 Abs. 3).
Ständerat: Will am schutzzentrierten Ansatz festhalten und diese Prüfung nicht zwingend vorschreiben.
Besonders umstritten: Droht dadurch eine Aushöhlung des Instruments der relativen Marktmacht (z. B. bei unzulässiger Preispolitik gegenüber einzelnen Zulieferern)?
Preisabreden (Art. 5 Abs. 3 lit. a)
Ständerat (Minderheitsantrag): Will nur noch Mindest- und Festpreise für Verträge mit Dritten erfassen.
Nationalrat: Lehnt diese Einschränkung ab und will auch andere Preiswirkungen erfassen.
4. Strategische Empfehlungen für Unternehmen
Angesichts der Unsicherheit im Differenzbereinigungsverfahren sollten Unternehmen schon heute die Beratung zwischen den Räten im Auge behalten und für den Fall einer Einigung folgende Massnahmen vorsehen:
Fusionen und Kooperationen unter dem SIEC-Test reflektieren.
Vertriebsstrukturen auf Preisbindung und Gebietsabsprachen überprüfen.
Compliance-Programme nachschärfen – inkl. Schulung, Dokumentation und Monitoring.
Zivilrechtliche Risiken im Auge behalten – auch bei indirekter Betroffenheit.
5. Zeitreise: Stationen der KG-Revision
2016: Bundesgericht fällt das Gaba-Urteil – harte Abreden gelten als erheblich.
2018–2021: Verschiedene Motionen (Français, Fournier, Wicki) fordern Auswirkungsprüfung und Reform.
2021: Erste Vernehmlassung zur Teilrevision.
Juni 2024: Ständerat behandelt die Vorlage als Erstrat.
Juni 2025: Nationalrat als Zweitrat bringt umfassende Neufassung inkl. Artikel 5 Abs. 1bis und Art. 7 Abs. 3
ab Herbst 2025: Differenzbereinigung und allfällige Vermittlungskonferenz.
Frühestens 2026: Inkrafttreten möglich – je nach politischer Dynamik auch später.
6. FAQs zur Kartellgesetz-Revision 2025
Was ist der SIEC-Test und warum ist er relevant?
Der «significant impediment to effective competition»-Test ersetzt den bisherigen Marktbeherrschungstest. Damit kann die Weko auch Zusammenschlüsse untersagen, die zwar nicht zur Marktbeherrschung führen, aber den Wettbewerb dennoch erheblich behindern.
Was ändert sich für KMU?
KMU müssen künftig mit mehr zivilrechtlichen Klagen rechnen – auch durch Konkurrenten oder Konsumenten. Gleichzeitig profitieren sie von effizienteren Verfahren und – im Idealfall – geringeren Sanktionsrisiken bei guter Compliance.
Was bedeutet Artikel 5 Abs. 1bis konkret?
Die vom Nationalrat eingeführte Bestimmung verlangt eine Einzelfallprüfung der Schädlichkeit – auch bei sog. «harten» Abreden wie Preisfixierungen. Gegner befürchten damit eine Aushöhlung der bisherigen Gaba-Praxis und eine Erhöhung der Hürden für die Ahndung von Firmenabsprachen.
Sollen künftig nur noch Mindest- und Festpreise als unzulässige Preisabreden gelten?
Der Ständerat (Minderheitsantrag) schlägt vor, das Verbot von Preisabreden auf Mindest- und Festpreise zu beschränken, wenn sich Unternehmen über Preise in Verträgen mit Dritten absprechen – etwa gegenüber Händlern, Wiederverkäufern oder Endkunden.
Der Nationalrat lehnt diese Einschränkung ab: Auch weitere Formen koordinierter Preisgestaltung – wie z. B. Höchstpreise, Rabattkorridore, indirekte Preisbindung oder abgestimmte Aufschläge – sollen weiterhin dem grundsätzlichen Verbot harter Abreden unterliegen.
Worum geht es konkret?
Es geht um die Frage, ob nur „klassische“ Preisbindungen verboten bleiben sollen – oder auch kreative Preismodelle mit faktisch gleicher Wirkung. Der Nationalrat will verhindern, dass kartellrechtswidrige Absprachen künftig durch flexible Preissignale oder psychologische Druckmittel kaschiert werden.
Für die Praxis: Unternehmen, die mit Dritten Vertriebsverträge abschliessen – etwa mit Franchisenehmern, Händlern oder Plattformpartnern – müssen sich weiterhin auf eine breite kartellrechtliche Kontrolle von Preisvorgaben einstellen.
Was ändert sich bei der Missbrauchsaufsicht für marktmächtige Unternehmen?
Der Nationalrat will eine Einzelfallprüfung der Marktwirkung (Art. 7 Abs. 3): Ein Missbrauch – etwa durch Knebelkonditionen, überhöhte Preise oder Lieferverbote – soll nur dann sanktioniert werden, wenn konkret belegt ist, dass der Wettbewerb erheblich beeinträchtigt wurde.
Der Ständerat lehnt das ab: Er will am bestehenden, präventiven Schutzansatz festhalten, bei dem eine konkrete Wirkung nicht zwingend nachgewiesen werden muss, wenn Machtmissbrauch offenkundig erscheint.
Was heisst das in der Praxis?
🔹 Beispiel Detailhandel:
Ein dominanter Grossverteiler verpflichtet Lieferanten, ausschliesslich ihn zu beliefern – regionale Bio-Händler oder Hofläden werden ausgeschlossen.
Ständerat: Eingriff möglich ohne konkreten Nachweis des Schadens.
Nationalrat: Eingriff nur, wenn eine relevante Marktverdrängung belegbar ist.
🔹 Beispiel Pharmagrosshandel:
Ein internationaler Pharmagrossist beliefert ausgewählte Apotheken zu besonders günstigen Konditionen, während kleine, unabhängige Apotheken nur überteuert oder gar nicht versorgt werden.
Nach geltendem Recht kann das als missbräuchliche Preisdiskriminierung gelten.
Mit neuer Regelung müsste die Behörde belegen, dass diese Praxis den Zugang zu Medikamenten tatsächlich beeinträchtigt hat.
🔹 Beispiel Onlinehandel:
Eine dominante Plattform bevorzugt eigene Marken in der Suchanzeige, während sie Drittanbietern schlechtere Sichtbarkeit bietet – obwohl Letztere teils bessere Produkte oder Preise anbieten.
Die Frage: Muss die Plattform nur aufhören, oder muss vorher bewiesen werden, dass Konsumenten dadurch keinen effektiven Preisvergleich mehr haben? Die Antwort hängt künftig vom Ausgang der Differenzbereinigung ab.
Wie positioniert sich IXAR Legal zur Reform?
IXAR Legal steht für Wettbewerb mit Augenmass: Wir begrüssen die Verfahrensmodernisierung und den Schutz effektiven Wettbewerbs. Das geltende Kartellgesetz wurde 1995 entsprechend dem EU-Recht konzipiert. Mit dem Gaba-Entscheid hat das Bundesgericht das Gesetz entsprechend der Konzeption angewendet (vgl. Felix Schraner / Marino Baldi, «20 Jahre – und kein bisschen weiter? Zum wettbewerbspolitischen Verständnis von Art. 5 Kartellgesetz», AJP 11/2015 und ebenso bereits «Die kartellrechtlichen Urteile des Bundesverwaltungsgerichts im Fall «Baubeschläge» – revisionistisch oder nur beiläufig falsch?», AJP 2/2015).
Das Konzept sieht vor, dass:
in einem ersten Schritt die Frage der Erheblichkeit («Bagatellklausel») statisch anhand von qualitativen und quantitativen Auswirkungen beantwortet wird (wobei horizontale Preis-, Mengen- und Gebietsabreden sowie vertikale Preis- und Gebietsabreden ohne weiteres als erheblich gelten) und
in einem zweiten Schritt die massgeblichen wirtschaftlichen Betrachtungen unter dem dynamischen Gesichtspunkt der Effizienz(-Rechtfertigung) erfolgen.
Eine Einzelfallprüfung der Schädlichkeit unter dem statischen Gesichtspunkt der Erheblichkeit auch bei vermutungsweise harten Abreden widerspricht u.a. dem gesetzgeberischen Konzept.
Im Hinblick auf allfällige Gesetzesanpassungen sollten Unternehmen folgende Vorbereitungen treffen
Transaktionen frühzeitig prüfen: Fusionen und Kooperationen auf Risiken nach dem neuen SIEC-Test analysieren.
Vertriebsmodelle anpassen: Preisbindungen und Gebietsabsprachen rechtlich absichern oder eliminieren.
Compliance stärken: Interne Schulungen, Dokumentation und Kontrollmechanismen aktualisieren.
Klagen antizipieren: Zivilrechtliche Risiken frühzeitig erkennen – auch als indirekt Betroffener.
UNTERLAGEN FÜR UNTERNEHMEN & VERBÄNDE
CIPCO Podcast: Expertengespräch
Im CIPCO -Podcast vom 16.12.21 diskutieren über die neuen Regeln zur relativen Marktmacht und das WKEO-«Merkblatt und Formular relative Marktmacht»: Prof.Dr. Peter Georg Picht, Patrik Ducrey, Boris Kasten und Dr. Felix Schraner.
Chancen und Risiken für Unternehmen
Dr. Felix Schraner hat an der IG SAP Schweiz über die kartellrechtlichen Chancen und Risiken der "Fair Preis" Initiative für Unternehmen informiert.
Relative Marktmacht DACH und EU
Dominic Schopf beleuchtet die Regeln für abhängige und marktmächtige Unternehmen in der EU, in Deutschland und in der Schweiz und zeigt, welche Cases die relative Marktmacht prägen.
Vertrieb und Einkauf: Aktuelle Praxis und Fair-Preis-Initiative
Felix Schraner erklärt die Herausforderungen für Unternehmen im Hinblick auf die relative Marktmacht und die Fair-Preis Initiative.
OFFIZIELLE DOKUMENTE
Der Bundesrat hat am 17. März 2023 das Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) beauftragt, bis im zweiten Quartal 2023 eine Botschaft zur Teilrevision des Kartellgesetzes vorzulegen. Diese Teilrevision soll die Wirksamkeit des Kartellgesetzes verbessern und drei parlamentarische Vorstösse umsetzen. Eine Reform der Wettbewerbsbehörden (Institutionenreform) ist nicht Teil dieser Teilrevision. Der Bundesrat hat das WBF deshalb mit der Einsetzung einer Expertenkommission beauftragt, die bis Ende 2023 verschiedene Optionen bewerten und dazu auch breite Kreise anhören wird.
Erläuternder Bericht (SECO)
Studie SIEC 2017
Bundesrat eröffnet Vernehmlassung
KG Vernehmlassung 2022: Stellungnahmen Teilnehmende (SECO)
Botschaft zur Teilrevision des Kartellgesetzes (24.5.2023)
Mitteilung der WAK N vom 21. Januar 2025
Vernehmlassung (Vorentwurf)
Studie SIEC 2020
Merkblatt und Formular (WEKO)
Bericht über die Ergebnisse der Vernehmlassung (17.3.2023)
Rats- und Kommissionsunterlagen | Amtliches Bulletin
WEITERE INFORMATIONEN
Mo 16.4094 Fournier
Mo 18.4282 Français
Studienvereinigung Kartellrecht
SwissHoldings
Economiesuisse
Revision Kartellgesetz 2012
REFORM WETTBEWERBSBEHÖRDEN
ZUSAMMENFASSUNG
Der Bundesrat hat am 15. März 2024 das WBF mit der Ausarbeitung einer Vernehmlassungsvorlage für eine Reform der Wettbewerbsbehörden beauftragt:
Das Sekretariat soll Untersuchungen künftig konsequent ohne Einbezug der WEKO durchführen, um deren Unabhängigkeit zu stärken.
Die WEKO selbst soll von 11–15 auf 5–7 Mitglieder verkleinert und die Pensen der Mitglieder nach Möglichkeit erhöht werden.
Zusätzlich wird das WBF prüfen, ob die Einsetzung eines Verfahrensbeauftragten die WEKO entlasten kann, damit sich diese stärker auf inhaltliche Fragen konzentrieren kann.
Schliesslich soll das Sekretariat der WEKO verpflichtet werden, beschuldigten Unternehmen nach Abschluss wesentlicher Ermittlungen vorläufige Beweisergebnisse, erhobene Vorwürfe und geplante Rechtsfolgen mitzuteilen.
Der Bundesrat plant auch, das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVGer) zu stärken, indem (nebenamtliche) Fachrichterinnen und Fachrichter in Kartellrechtsfällen eingesetzt werden. Dies soll Verfahren beschleunigen und die ökonomische Expertise des BVGer stärken.
Bei umfangreichen Verfügungen der WEKO sollen zudem die Beschwerdefristen für Parteien gelockert werden.